Die MEDIATHEK hinter den KULISSEN

Die MEDIATHEK  hinter den KULISSEN
Die Sonnenseite des Fußballs -The High Performence Mind of Soccer -Menschen und Stories rund um den Fußball

Freitag, 12. Oktober 2012

Karl Heinz Thielen im Interview -Magische Momente - Druck - Visionen im Fußball


(* 2. April 1940) ehemaliger deutscher Fußballspieler.

Vereine:

  • bis 1959 AT Rodenkirchen
  • 1959–1973 1. FC Köln

  • nach der aktiven Laufbahn
    • 1973–1986 1. FC Köln, in verschiedenen Funktionen: Geschäftsführer - Manager - Vize-Präsident
    • 1989–1991 Sportdirektor Fortuna Düsseldorf
    • 1992–1993 Manager beim 1. FC Köln


    Dst: Was waren die Highlights, die magischen Momente in Ihrer Laufbahn?
    K.H. Thielen:
    Da waren zunächst meine Titel als Spieler. Die erste Deutsche Meisterschaft für den 1. FC Köln 1962 in Berlin gegen Nürnberg. Dann die erste Deutsche Meisterschaft 1964 nach Gründung der Bundesliga und der Pokalsieg 1968 gegen den VfL Bochum. Als Manager des FC war es zunächst der Pokalsieg 1977 und dann 1978 sogar das Double mit Deutscher Meisterschaft und Pokalsieg. Als Vize-Präsident habe ich 1983 mit dem FC nochmals den DFB-Pokalsieg errungen. Ich habe dann später in den Achtzigern noch mal als Manager ausgeholfen und dabei die damalige Deutsche Hallenfußballmeisterschaft mit errungen.
    Die Momente vergisst man nicht. Den Titel zu gewinnen ist und war mein Antrieb. Der beste im Sport zu sein und später auch im Job. Das ist mir ein paarmal gelungen und war sehr schön.
    Dst: Gab es Momente in Ihrer Karriere, wo die Dinge einfach im Fluss waren, ohne dass Sie sich das genau erklären konnten?
    K.H. Thielen:
    Ja, bei der ersten Meisterschaft 1962. Wir Kölner hatten schon lange das Ziel, Deutscher Meister zu werden. 1960 waren wir knapp gescheitert. Nach dem 4:0 Finalsieg konnte ich gar nicht glauben, was und wie es geschehen war. Im Gegenteil war ich noch unzufrieden und sauer auf mich. Ich hatte zuvor eine Reihe Tore erzielt und dann ausgerechnet im Finale keines. Und mir war klar, dass später immer nur die Endspiele im Fernsehen gezeigt werden. Richtige Freude und das Bewusstsein über den Erfolg konnte erst in den Tagen danach, bei den ausgiebigen Feierlichkeiten hier in Köln, aufkommen.
    Dst. Die andere Seite des Sports kann Druck sein. Wie haben Sie diesen erlebt?
    K.H. Thielen:
    Druck war meistens im Abstiegskampf. In der Saison 1969 haben wir trotz einer guten Mannschaft gegen den Abstieg gespielt. Wir hatten keinen beständigen Torwart und die ganze Mannschaft war dadurch verunsichert. Wir konnten die Liga erst am letzten Spieltag im Heimspiel vor 60.000 Zuschauern sichern. Dieser Druck war damals sehr groß.
    Dst: Wie sind Sie persönlich mit dem Druck umgegangen? Wie kann man als Führungsspieler seine Mitspieler unterstützen?
    K.H. Thielen:
    Grundsätzlich funktioniert das durch die Aktivität. Über die Arbeit und Training wieder zum Spiel finden. Sich total auf die Situation und die Aufgabe zu konzentrieren. Dann bleibt kein Raum mehr für andere Dinge im Kopf. Als Führungsspieler muss man das den jungen Spielern sagen, über Einsatz und Kampfbereitschaft wieder zum Spiel zu finden. Hierbei wird der sensible Spieler sicherlich größere Probleme haben als der mental robuste Spieler.
    Dst: Wo würden Sie sich dabei einstufen?
    K. H. Thielen:
    Als eher intellektueller Mensch bin ich grundsätzlich eher vom Kopf gekommen. Gegen schlechten Schlaf dabei kann auch abends schon mal ein Bier helfen. Eine aufmerksame Frau an der Seite kann da sehr unterstützend sein. Meine Frau ist letzte Woche 70 geworden. Sie ist über all die Jahre immer die gleiche geblieben. Frau und Familie ist als ruhender Pol dabei enorm wichtig. Entscheidend ist aber am Ende, was ich auf dem Platz umsetzen kann. Zum Ende meiner Karriere war ich im Team der Elfmeterschütze. Das war zwar Druck, jedoch fühlte ich mich mit dem ausgestatteten Selbstbewusstsein dabei sicher. Ich vertraute auf meinen guten Schuss. Ich war von mir überzeugt und habe keinen einzigen verschossen. Hätte ich Zweifel gehabt, hätte ich angefangen zu überlegen, über die Situation, über die Zuschauer oder über den Torwart, der dann immer größer wird oder das Tor, welches dann immer kleiner wird. Dann wird es schwer .Mein Rezept war Tunnelblick und Vertrauen in meinen Schuss. Man kann diese Dinge nicht denken. Wer in solchen Situationen zu sehr vom Intellekt kommt, ist dazu nicht geeignet. Der Andy Brehme im Weltmeisterschafts-Endspiel ist auch ein gutes Beispiel. Der denkt vom Typ her auch nicht lange nach. So hat er sich damals auch einfach den Ball genommen, nur mit den Gedanken „Komm her damit, den hau ich nun rein“. Nicht lange Denken. Einfach nur tun. Ein Sprichwort besagt: „Selbst der längste Weg fängt mit dem ersten Schritt an“.
    Dst: Woher kommt Ihrer Meinung nach der größte Druck im Fußball?
    K.H. Thielen:
    Viel Druck legt man sich selber auf, um gesteckte Ziele zu erreichen. Verlierst du mal zwei Spiele hintereinander und willst Meister werden, wird der Druck schon groß. Ein weiterer Druck wird von Zuschauern und sogenannten Fans auf Spieler und Verein ausgeübt. Das erlebt man zum Beispiel hier in Köln. Ein anderes Bespiel war letztes Jahr beim Wechsel von Nationaltorhüter Manuel Neuer nach München zu beobachten. Da rotten sich Gruppierungen zusammen und machen Meinung, die in meinen Augen wie im „Fall Neuer“ total schwachsinnig ist. Da ist es nicht einfach, einen Weg zu finden, um dagegen zu steuern. Hier liegt meiner Meinung nach eine große Gefahr für den Fußball. Da gibt es dann sogenannte Ultra-Gruppierungen, die sich über den Verein definieren und profilieren wollen. Sich eine eigene Bühne in der Öffentlichkeit bauen. In Südamerika zum Beispiel, in Argentinien, bestimmen Ultras die Vereinspolitik. Sie bestimmen die Preispolitik bei den Eintrittspreisen, erpressen sich freien Eintritt, ansonsten demolieren sie dir das Stadion. Im medialen Zeitalter von Facebook und Twitter kann man sich dann leicht organisieren.
    Der Umgang mit der Medienlandschaft ist auch ein gesellschaftliches Problem. Schalte ich den Fernseher an, sehe ich eine Comedy-Sendung nach der anderen. Diese sogenannten Comedians profilieren sich jedoch meist nur auf Kosten anderer. Meist nur Sprüche und Beleidigungen, die unterhalb der Gürtellinie liegen. Ich kann nicht nachvollziehen, warum sich Leute so etwas anschauen und warum die Betroffenen sich nicht dagegen wehren. Ich finde, es wäre an der Zeit, da mal ein Zeichen zu setzen, da hätten einige eine Ohrfeige verdient.
    Dst: Was bedeutet diese mediale Entwicklung für den Fußball, für Spieler und Verantwortliche?
    K.H. Thielen:
    Das erleben wir hier zum Beispiel bei den Interviews nach dem Spiel, wenn du als Spieler noch voller Adrenalin steckst. Früher waren diese Interviews verboten. Da jedoch durch die mediale Vermarktung des Fußballs sehr viel Geld im Spiel ist, muss man dort leider Kompromisse eingehen. Da versuchen die Reporter dann Fangfragen zu stellen oder warten darauf, dass der Interviewte mal einen Klops bringt, damit der Zuschauer sich darüber freuen oder lustig machen kann.
    Zu meiner aktiven Zeit haben sich die Medien - Zeitung und Fernsehen -sachlich mit dem Fußball beschäftigt, kommentiert und erklärt, in Form von Spielberichten. Heute ist für viele Medien das Fußballspiel selbst schon eher nebensächlich. Für diese ist schon viel interessanter, wie lange war der Spieler in der Kneipe oder Discothek und mit welcher Braut war er unterwegs? Hat er vielleicht zwei oder drei Bräute oder war er im Bordell? Wie hoch war seine Ablöse und das Wievielfache verdient er gegenüber einem normalen Arbeitnehmer? Diese Entwicklung finde ich heute bedauerlich. Von der einen Seite war man zu meiner Zeit stolz darauf einmal interviewt zu werden oder mal eine Meinung abgeben zu dürfen. Die Spieler heute haben es da schon erheblich schwerer und müssen bei ihren Aussagen achtsam sein. Dementsprechend diplomatisch und langweilig fallen dann heute die Interviews aus. Den Umgang mit den Medien muss man kennen und erlernen. Ich mag bei den Interviews nicht das allgemeine Geschwätz. Nach dem Gewinn der deutschen Hallenfußballmeisterschaft wurde ich als Manager im Interview nur mit allgemeinen Fragen bombardiert. Ich habe mir dann einen Spaß daraus gemacht, alle Fragen nur mit „Ja“ und „Nein“ zu beantworten.
    Dst: In Ihrem Buch schreiben Sie:„Es gibt nur wenige Menschen die einen Bundesliga-Club erfolgreich führen können.“ Braucht ein Club eine Vision oder eine Philosophie?
    K.H.. Thielen:
    Natürlich braucht man im Fußball und als Verein auch Ziele und Visionen. Aber wichtig ist dabei, dass auch das nächste Spiel gewonnen wird. Wenn mir früher ein Trainer nur mit Zukunftsplänen kam, habe ich dann oft gefragt: „Sag mal, wie sieht denn deine Taktik und Strategie für das nächste Spiel aus?“
    Trotzdem braucht man natürlich neben der kurzfristigen Ausrichtung – das nächste Spiel- eine langfristige Ausrichtung. Dann unterscheidet man noch zwischen sportlichen und wirtschaftlichen Zielen. Und für alle Bereiche braucht man die entsprechenden Fachleute, die diese Bereiche verkörpern. Beim FC Bayern ist Uli Hoeneß dafür das beste Beispiel. Seine Vision ist immer, der Beste zu sein, immer zu gewinnen. Um das zu schaffen, holt er sich einfach die besten Leute und Spieler. Damit macht er sich zwar nicht beliebt, weil er oft nur die Interessen seines FC Bayern vertritt, aber er lebt für diesen Club und gibt alles für den Club. Diesen Einsatz braucht es, um Erfolgreich zu sein. Das war bei mir nicht anders. Bei mir gab es auch nur den 1. FC Köln, alle anderen waren Gegner und Feinde.
    Dies gilt es als Verantwortlicher des Clubs auch vorzuleben. Trotz des großen Geldes im Fußball ist die Identifikation der Spieler mit dem Club wichtig. Ein Uli Hoeneß lebt den Spielern vor, was der FC Bayern ist. Er verkörpert den FC Bayern und alle können sich an ihm orientieren, wer oder was der FC Bayern ist. Ich habe vorgelebt was, der 1.FC Köln ist. Damit auch ganz besonders die jungen Spieler wissen, was es bedeutet, ein Spieler vom 1.FC Köln zu sein oder eben ein Spieler vom FC Bayern zu sein. Am besten funktioniert das, wenn man Spieler schon sehr jung an den Club binden kann. Dann kann man sie noch erziehen. Sie sind stolz darauf einer vom FC Köln, Borussia Mönchengladbach oder Schalke 04 zu sein. Sie werden diesen Verein lieben, selbst wenn sie mal den Verein wechseln, später dann sagen: „Das war mein bester Verein“.
    Dst: Können Sie mir erklären, wie man konkret diese Art der Identifikation schaffen kann?
    K.H. Thielen:
    Eine Identifikation besteht aus vielen kleinen Einzelteilen. Wir hatten hier mal einen guten Torwart, den Fritz Ebert. Nach seiner Karriere hatte er sich mit einer Tankstelle selbstständig gemacht. Aber der Umgang mit Finanzen war nicht seine Stärke und er hatte sich übernommen. Als wir das hier beim FC Köln erfuhren, haben wir ihn aus der Misere herausgeholt. Unser Geschäftsführer, der Hans Gerd Königs, hat dann Vergleiche für den Fritz ausgehandelt. Solche Aktionen prägen einen Club. Da fallen mir auch einige Beispiele ein, wo das beim FC Bayern praktiziert wurde.
    Dann ist die Außendarstellung des Clubs und der Mannschaft für Spieler und Anhänger von großer Bedeutung. Für die Spieler bedeutet das zum Beispiel, dass ich mich bei Auftritten für den Club in der Öffentlichkeit im jeweiligen Club-Outfit zeige, nicht in teuren Designer-Klamotten, obwohl ich mir das zigmal leisten kann. Ein respektvoller Umgang ist wichtig. Wenn ich heute ehemalige Spieler des FC treffe, wie zuletzt den Piere Littbarski beim Länderspiel, dann spricht er mich nach wie vor mit „Herr Thielen“ oder „Sie“ an.
    Dst: Wie würden Sie den Begriff "Vision" definieren?
    K.H Thielen:
    Vision bedeutet für mich auch, besonders unter dem wirtschaftlichen Aspekt, das Kapital, welches auf dem Platz steht, ständig zu verbessern. Wenn der wirtschaftliche Teil nicht funktioniert, ist es nicht möglich, sich oben zu halten. Daneben braucht es den sportlichen Sachverstand. Meistens hat man diesen, wenn man als Spieler so hoch wie möglich gespielt hat. Dann kann man Qualitäten von Fußballern beurteilen. Dazu gehört es, frühzeitig das Talent bei einem jungen Spieler zu erkennen. Mein größtes Glück war, zu den erfolgreichen Zeiten junge Talente entdeckt zu haben. Unsere wirtschaftlichen Möglichkeiten waren damals mit der alten „Radrennbahn“ als Stadion begrenzt. Aus dieser finanziellen Not heraus habe ich damals bei den Talenten viele Volltreffer gelandet, wie zum Beispiel mit Dieter Müller, Pierre Littbarski, Bernd Schuster, Thomas Kroth, Herbert Zimmermann, Roger van Gool, Tony Woodcock und noch einige andere. Es war schon ein Privileg, diese Mannschaft eine Zeit lang zusammen halten zu können.
    Dst: Wie entdeckt man diese Spieler?
    K.H Thielen:
    Dazu braucht man zum einen seine Informanten, ein gutes Auge und Gespür, ob dieses jeweilige Talent es schaffen kann. Manchmal kommt man dabei aber auch zu spät. Dies ist mir im Fall Karl Heinz Rummenigge passiert. Da war der FC Bayern schneller. Ein gutes Netzwerk war damals schon wichtig. Im Fall Littbarski lief das dann anders. Ich hatte in der Sommerpause eine Einladung zur WM in Argentinien. Als ich los wollte, bekam ich die Information über dieses Berliner Talent namens Littbarski, der bei den Endspielen zur deutschen A-Jugend-Meisterschaft für Aufsehen gesorgt hatte. Ich habe meine Argentinien-Einladung verfallen lassen und bin zum A-Jugend-Endspiel gefahren. Als ich die etwa zwanzig anderen Trainer und Talente-Späher dort sah, habe ich sofort gehandelt und den Spieler verpflichten können. Der weitere Werdegang von Pierre Littbarski ist ja bekannt. Dafür habe ich dann gerne auf die Reise zur WM verzichtet. Ich habe gerne mit jungen Spielern gearbeitet.
    Dst: Hatten Sie ein spezielles Rezept im Umgang mit jungen Spielern?
    K.H.Thielen:
    Ich war als Manager immer bemüht, keinen Druck auf die Spieler auszuüben. Dafür habe ich umso größeren Wert auf gegenseitigen Respekt gelegt. Unser Trainer Jörg Berger wollte mal fünf Spieler rauswerfen. Da hab ich ihn gefragt:„Wie willst du das machen? Willst du selbst spielen? Nachher musst du wieder 3 von denen aufstellen und schaust wie ein Idiot aus“. Nur drohen hilft nicht, wenn, dann muss auch anschließend eine Konsequenz folgen. Wenn ich das Messer auspacke, dann muss ich auch operieren. Ansonsten geht die Glaubwürdigkeit und der Respekt sehr schnell verloren. Ebenso ist mir nach wie vor wichtig, dass ein „Ja“ auch ja bedeutet und ein „Nein“ ein nein ist. Das müssen die Spieler wissen.
    Dst: Wie kann ich einen Fußballer bei Rückschlägen auffangen – wenn er in ein Leistungsloch fällt, wenn das normale Training nicht ausreicht?
    K.H.Thielen:
    Manche Spieler schaffen es nie, eine konstante Leistung zu bringen. Heute ist der Sport in der psychologischen Unterstützung natürlich weiter. Man muss alles versuchen, um den Spielern zu helfen. Aber manche Typen kann man einfach nicht ändern. In meiner aktiven Zeit gab es sicherlich einige Spieler, die waren begabter und besser. Viele von ihnen scheiterten dann an ihrem Nervenkostüm, an der Intelligenz oder auch am Lebenswandel, wenn sie nach Erfolgen vergessen haben, wieder mit dem Feiern aufzuhören und Alkoholprobleme bekamen. Sicherlich gibt es da auch wieder Ausnahmen. Ein Otto Rehagel hat in Bremen einen Mario Basler integriert. Er hatte seine Macken, war aber ein„Riesenspieler“. Nach einer Basler-Eskapade stand Rehagel – soweit es mir überliefert wurde- mal wieder vor der Frage, sich von Basler zu trennen. Er fragte seine Führungsspieler um Rat. Die haben sich dann für Basler ausgesprochen, weil sie der Meinung waren, dass er ihnen sportlich trotzdem weiterhelfen wird. Wenn eine Mannschaft das mitträgt, kann man es auch mal riskieren. Grundsätzlich kann man den Charakter des Menschen aber nicht ändern. Es wird immer Spieler geben, die spielen heute Weltklasse und im nächsten Spiel schlecht. Als Berater oder Trainer habe ich außerhalb des Spiels die Möglichkeit, auf ihn einzuwirken. Ich muss dann zunächst die positiven Dinge hervorheben und auch konkret sagen, was er verbessern muss. Wenn ich den Spieler nur angreife und kritisiere, wird er sich verschließen. Kritik funktioniert besser im Erfolg, dann ist sie leichter zu nehmen. Man muss als Verantwortlicher rechtzeitig erkennen, wann der Hebel angesetzt werden muss. Im Erfolg werden in der Euphorie oft Mängel übersehen. Dann ist es wichtig, diese Mängel anzusprechen oder zu kritisieren. Das dann auf eine respektvolle Art und Weise. Aber manchmal nützt das alles nichts, dann macht es im Interesse des Vereins nur noch Sinn, solche Spieler rechtzeitig zu verkaufen oder wegzuloben. Viele talentierte Spieler sind dann auch in der Versenkung verschwunden, wenn sie sich nicht durchbeißen konnten. Ich habe diese Spieler gerne etwas provozierend„Dorfkönige“ genannt. Das ist jedoch nicht nur eine Sache des Fußballs. Auch in vielen anderen Bereichen verstehen es die Menschen oft nicht, ihr wahres Potential auszuschöpfen.
    Dst: Wir befinden uns im Zeitalter von „Burn-Out-Syndrom. Sind Sie persönlich mal in eine Situation gekommen, wo Sie alles hinwerfen wollten?
    K.H Thielen:
    Der Ralf Ragnik hat da nun genau richtig reagiert. Er hat sich eine Auszeit genommen. In solche Situationen kommt jeder, der sich voll und ganz einer Sache verschreibt. Der Arbeitsaufwand kann schon immens werden. Ich habe das auch erlebt. Da gibt es so viele Bereiche zu managen. Wenn es dann auch mal sportlich nicht läuft, dann schläfst du auch schlecht. Es ist wichtig, dabei auf die Signale des Körpers zu achten, auch wenn man sie manchmal nicht wahrhaben möchte. Sicherlich ist es eine Mentalitätsfrage und ich bin davon weitest gehend verschont geblieben. Aber das ist in jedem Beruf so.
    Dst: Was halten Sie von Funktionalteams innerhalb eines Trainer-Stabs?
    K.H. Thielen:
    Grundsätzlich arbeite ich lieber mit wenigen, aber mit guten Leuten. Zu viele Meinungen führen nicht zum Ergebnis. Ich bin zum Beispiel kein großer Freund von Psychologen. Das ist ein Lieblingsthema bei mir. Es mag Fälle geben, wo es sich positiv auswirkt, sie zu Rate zu ziehen. Ich habe mich häufig gefragt: „Warum soll ich mit jemandem reden, der selbst auf die Couch gehört.“
    Sie werden häufig zur Überprüfung der Teamfähigkeit von Leuten – auch in der Wirtschaft- herangezogen, ohne wirklich Ahnung von der Sache zu haben. Für mich ist wichtig wie groß das Talent ist, ob der Fußballer Fußball spielen kann und ob der Schreiner schreinern kann. Ich glaube nicht, dass Einstein teamfähig war. Wäre er es gewesen, hätte er nicht seine Leistung bringen können. Hätte man ihn zum Psychologen geschickt, wäre er für verrückt erklärt worden. Was ich damit sagen will, ist, dass die Teamfähigkeit alleine nicht ausreicht um erfolgreich zu sein. Ein Team lebt in der Regel von den Fähigkeiten der Individualisten. Die sind häufig auch Egoisten, aber sie entscheiden oft die Spiele. Ich denke dabei an Ronaldo bei Real Madrid, Messi in Barcelona, Robben und Ribery bei Bayern.
    Dst: Wie schaffe ich dann in einem Haufen von „Ich AG´s“ eine Teamgemeinschaft?
    K.H.Thielen:
    Als Verantwortlicher Trainer oder Manager einer solchen Truppe braucht es ein erhebliches Feingefühl für die Spieler und jeweiligen Situationen. Man muss mit seinen Maßnahmen ehrlich und gerecht sein. Die Spieler merken sofort, wenn bei einigen Spielern unterschiedliche Kriterien zugrunde gelegt werden. Es sind klare Regeln erforderlich. Anderseits muss ich auch Ausnahmen machen. Wenn ich außergewöhnliches Verhalten feststelle, welches auch das Spiel negativ beeinflusst. Dann braucht dieser Spieler auch mal besondere Zuwendung und Aufmerksamkeit. Dann geht man mit diesem Spieler auch mal essen.
    Insgesamt braucht es ein produktives Team. Dazu gehört ein solides Mannschaftsgerüst mit Teamgeist. Dazu braucht es die Arbeiter fürs Grobe, die Individualisten und Einzelkönner. Die Kunst, das unabdingbare Fundament in Form von Disziplin und Defensive, diese mit den Einzelkönnern und Egoisten zu verbinden.
    Dst: Wie erzeuge ich Identifikation bei den handelden Personen mit dem Club?
    K.H. Thielen:
    In meinem Fall war es, dass ich durch den 1. FC Köln groß geworden bin. Dieser Club hat mich geprägt. Als Spieler, aber besonders als Manager und in meinem späteren Leben, war es deshalb mein Bestreben, diesem Club etwas zurück zu geben. Beitrag zu sein, den FC nach oben zu bringen. Meine dauerhafte Verbindung zum Club kann ich nicht leugnen. Heute betrachte ich die Situation hier in Köln mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Wenn ich sehe, welche Fehler gemacht werden, muss ich innerlich lachen. Wenn ich dann aber die sportliche Entwicklung sehe, tut das oft sehr weh.
    Die Identifikation hängt von den handelnden Personen ab. Hier in Köln gab es früher viele Identifikationsfiguren. Leider sind diese in den letzten Jahren verloren gegangen. In den sechziger Jahren war es Franz Krämer als Präsident. Vielleicht war ich es später mal für einige Zeit. Ebenso die damaligen Spieler. Namen wie: Löhr, Overath, Cullmann, Schnellinger, Wilden, Thielen, Weber und noch einige andere werden sofort als Identifikationsfaktor mit dem 1. FC Köln in Verbindung gebracht. In den letzten 15 Jahren könnte man hundert Spielernamen des Clubs in den Raum werfen, ohne dass sie eine vergleichbare Identifikation mit dem Club darstellen. Diese Figuren sind dem FC abhanden gekommen. Die Identifikation der Leute aus dem „eigenen Stall“ ist größer als bei den von außen dazu geholten.
    Der Uli Hoeneß bei Bayern München hat das immer schon gut erkannt. Zwischen dem 1. FC Köln und dem FC Bayern kann man sehen, wie sich zwei Clubs - einst auf Augenhöhe - in den letzten 15 Jahren in unterschiedliche Richtungen entwickelt haben. Dieser Unterschied wurde mir spätestens bei der Beerdigung unseres ehemaligen Trainers Cik Cajkovski bewusst. Cik hatte als Trainer in den sechziger Jahren den FC Köln erstmalig in den europäischen Blickpunkt gerückt. Auch als mein damaliger Trainer hatte ich ihm viel zu verdanken. Danach ist er dann zum FC Bayern gegangen und hat sie in die Bundesliga geführt. Später als Manager hatte ich ihn ein zweites Mal nach Köln geholt. Bei dieser Beerdigung war ich dann der einzige Vertreter des FC Köln, während der FC Bayern mit einer Riesendelegation vertreten war. Alle die Jungs, die er dort groß rausgebracht hat, wie Beckenbauer, Müller, Maier, Bulle Roth und viele andere, standen am Grab. Das zeichnet einen großen Club, unter der Haupt-Identifikationsfigur Uli Hoeneß, aus. Ich war privat und aus alter Verbundenheit angereist. Um den FC nicht zu blamieren, habe ich mich als dessen Vertreter ausgegeben.
    Dst.: Was bedeutet Fußball und der 1.FC Köln für Sie heute?
    K.H. Thielen:
    Fußball ist für mich heute die Nummer eins der Völkerverständigung, der größte Brückenbauer der Welt. Der Fußball erfüllt eine größere Aufgabe als alle Religionen, welche die Menschen oft auseinander dividiert. Der Fußball hingegen führt die Menschen zusammen. Deshalb hat der Fußball es verdient, dass man sich für ihn einsetzt.
    Mein erstes Profigehalt betrug 400 DM. Das war im Vergleich zu heute gar nichts. Vergleichbar mit dem Einkommen eines guten Handwerkers damals. Aber uns Spieler hat es Spaß gemacht und die Gehälter wurden auch größer. Der wirtschaftliche Faktor wurde im Laufe der Jahre immer größer. Als erster hatte das unser Präsident Franz Kremer in den Sechzigern erkannt. Ich habe später als Manager auch so gut wie möglich versucht, den Wirtschaftsfaktor auszubauen und den Club auf professionelle Füße zu stellen. Ehrenamtlich war eine Vereinsführung nicht mehr möglich. Wenn du Erfolg haben willst, lebst du diesen Sport rund um die Uhr. Das musste dann auch entsprechend entlohnt werden.
    Das Bekenntnis zu einem Fußball-Club kann sich auf viele Arten und Weisen ausdrücken. Manche Menschen tragen das Trikot des Clubs, andere tragen einen Vereinsschal um den Hals. Ich bin ja schon sehr lange im Club und hab hier Einiges erlebt. Wenn ich jedoch vor dem Spiel kurz vor dem Anpfiff im Stadion stehe, die Vereinshymne wird gespielt, dabei schwingen 40 bis 50 Tausend Leute singend ihre Schals, dann läuft es mir immer noch eiskalt den Rücken hinunter. Das ist unvergleichbar, ein immer wiederkehrender magischer Moment.


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