MAGISCHE MOMENTE
oder „Wenn die Zeit
stehen bleibt!“
Warum lieben
wir Fußball?
Das
ist der Stoff, aus dem Fußball-Träume sind. Als der Schiedsrichter in der 96.
Minute das entscheidende Relegationsspiel zum Aufstieg in die Bezirksliga
abpfiffen hatte, hatten die Hälfte der ca. 500 Zuschauer, die Anhänger meines VfR`s, dessen Manager und Obmann ich
war, dessen Spieler, Trainer und
Betreuer, einige Minuten gebraucht um zu
realisieren was geschehen war.
Aufgewachsen
in einem kleinem 1500 Einwohner- Örtchen im Rheinland, als Sohn des damals 2.
Vorsitzenden und Vereinswirtes. Als
kleiner Junge etwas dick und pummelig, startete ich meine Fußballlaufbahn
zunächst im Tor der E-Jugend meines VfR´s. Ab der Pubertät ,mit ein paar Kilo
weniger, dann als Linksaußen oder Mittelstürmer. Ich war nicht der
Talentierteste, aber meine Leidenschaft und mein Leben war der Fußball. Mit
Ehrgeiz und Einsatz konnte ich wohl einiges kompensieren - in einem kleinen
Fußballdorf wollte man halt dazugehören. Auf dem Sprung ins Seniorenalter wurde
meine aktive Fußballlaufbahn abrupt, durch einen Motorradunfall beendet.
Ich
bin meiner Leidenschaft, dem Fußball jedoch treu geblieben und war dann schon
in jungen Jahren Jugendkoordinator und anschließend Fußballobmann, Manager,
Co-Trainer und Pressesprecher , teilweise in Personalunion. Meine Freizeit war
über Jahre hinweg komplett mit Fußball gefüllt.
Auf den Fußballplätzen in meiner Region, die zu dieser Zeit mein zweites
zu hause waren, in der lokalen Presse,
nannte man mich hin und wieder „den Uli
Hoeness des VfR“. Immer angetrieben, auch unter den widrigen Verhältnissen
eines kleinen Amateurvereins, den nächsten sportlichen Schritt zu erreichen.
Vor
der Saison 1994/95 hatte sich bei mir eine gewisse Amtsmüdigkeit eingesetzt.
Nach drei Vizemeisterschaften in unserer
Spielklasse hatten wir das angestrebte Ziel, die Bezirksliga wieder nicht
erreicht. Heute würde man sagen, wir waren so etwas wie das „Vizekusen der
Kreisliga A“ . Immer offensiven Fußball, viele Tore, doch am Ende ein paar
Gegentore zu viel oder in dem ein oder anderem entscheidenden Spiel, hatte das
Nervenkostüm versagt, so dass es immer noch einen gab, der einen Tick besser
war. Ein paar Leistungträger der 1. Mannschaft hatten den Verein verlassen
oder wollten ihre Laufbahn beenden. Die Möglichkeit es in die Bezirksliga zu
schaffen, war für mich unrealistisch. Meine vom Fußball genervte Frau, machte
mir das Fußballeben auch nicht leichter und mein Sohn war wenige Monate zuvor
geboren. Ich brauchte eine Auszeit und auch mehr Zeit für Familie.
Vor der nun anstehenden neuen Spielzeit habe,
ich noch dazu beigetragen meine Aufgaben und Ämter in gute Hände zu legen, die
Mannschaft mit ein paar jungen talentierten Spielern zu ergänzen. Im Vorfeld war es mir noch gelungen, den im
Vorjahr, nach Meinungsverschiedenheiten mit mir, Vorstand und Mannschaft
ausgeschiedenen Trainer "Heinz" für die neue Saison zu verpflichten.
"Heinz"
hatte zu seiner besten Zeit bei den Amateuren von Borussia Mönchengladbach
gespielt und war fachlich einer der besten Trainer, die unser Club bis dahin
hatte. Die Gefahr bestand darin – welches auch das Problem bei seiner ersten
Amtszeit war- dass er mit seinem Anspruch, gemessen an seiner eigenen Laufbahn,
seinem Ehrgeiz, seiner explosiven Art, seiner Vorstellung von Disziplin im
Training, im Spiel und auch Spielvorbereitung, den ein oder anderen Spieler in
unserer Amateurklasse überforderte. Ich werde nie vergessen wie sich einer der
Routiniers unserer Mannschaft , kurzfristig auf der Ersatzbank wieder fand, weil er
während des Aufwärmprogramms vor dem Spiel, mal kurz - wie bis dahin üblich- in die Büsche
verschwand um sich zu erleichtern. Dem nächsten widerfuhr Gleiches, weil
er während des Dehnungsprogramms beim
Plausch mit Zuschauer oder Freundin gesehen wurde. Nicht selten fuhr ein vom
Trainer etwas unsanft kritisierter Spieler nach dem Training nach Hause mit dem
Kommentar „Mich siehst du hier nicht wieder“! Dann war ich dann wieder mal als
Mediator im Interesse des Teams und des Erfolgs gefordert zu vermitteln,
zwischen ehrgeizigem Trainer und sensiblen Freizeitkicker. Nach dem Ein oder Anderen emotionale Gespräch, einem
Bier am Vereinstresen und mal „darüber schlafen“ ging es dann meistens im
nächsten Spiel gemeinsam weiter.
Auch
wenn Trainer Heinz, die Messlatte im Training und auch Spiel immer etwas höher
legte, die Spieler ihn manchmal deshalb
nicht mochten – er manchmal auch einige Wesenszüge eines „ Ede Geyer“ zu haben
schien, -zudem er selbst nach großen Siegen mit dem Team stets nur mit Cola
statt Bier feierte- . Die Spieler konnten sehen wie sie sich spielerisch,
taktisch und physisch weiterentwickelten. Das es auch eine gehörige Portion an bisher nicht gekannter Disziplin und Regeln
braucht um größere Ziele zu erreichen. In seiner zweiten Amtszeit im
Aufstiegsjahr wurde Trainer Heinz sogar
beim VfR über den grünen Klee gelobt als „ein Fußball Besessener“ der die
richtige Mischung aus Engagement und Gelassenheit gefunden hat. Ich bilde mir
bis heute ein, als sein erster Ansprechpartner und gleichzeitig Mediator
zwischen ihm und Mannschaft, meinen Teil dazu beigetragen zu haben.
Zunächst
war die neue Saison 1994/95 gestartet. Mit einer verjüngten Mannschaft ohne
einige Leistungsträger der Vergangenheit, nicht mit dem Ziel aufzusteigen, die
Mannschaft neu aufzubauen, ordentlichen Fußball zu spielen. Und seit mehr als
15 Jahren ohne mich in einer Vereinsfunktionärsrolle. Die Vorbereitung verlief
eher mäßig bis schlecht. Jedoch das erste Meisterschaftsspiel wurde mit 7:2
gewonnen. Das zweite und dritte Spiel wurde gar bei Aufstiegsfavoriten klar
gewonnen. In diesen Wochen habe ich es genossen lediglich am Wochenende die
Spiele meines Clubs, einfach einmal als unbeteiligter Zuschauer zu genießen. Der
Kontakt zu Trainer "Heinz" war jedoch auch dann nicht abgebrochen. Er nutzte
jede Gelegenheit mich mehrmals pro Woche anzurufen, sich über den
Trainingsalltag, Taktik, Spielanalyse, Spieler oder den nächsten Gegner
auszutauschen, Feedback zu holen oder mir Anregungen zu liefern, wie man, die stets zu bemängelnde Infrastruktur
eines kleinen Amateurvereins verbessern könnte. Und so kam es wie es nicht
kommen sollte, nach drei Monaten war ich nun wieder –ohne offizielle Funktion- mitten im Geschehen. Die Tatsache, dass die
Spieler mich ebenfalls immer noch als Ansprechpartner mit ihren Anliegen
kontaktierten - die gute Arbeit von
Trainer Heinz und der Mannschaft, die unerwartete Früchte trug, taten ihr
übriges um mich zu überreden. Der
„Fußballvirus“ hatte mich wieder eingeholt und erwischt.
Am
vorletzten Spieltag der Hinrunde war die Mannschaft ungeschlagener souveräner Tabellenführer mit nur drei Unentschieden. Die
erste Niederlage setzte es am letzten Spieltag vor der Winterpause,
anschließend noch 3 Punkten Vorsprung
(nach der alten 2-Punkte-Regelung) vor der Reserve-Mannschaft es ranghöchsten
Verbandsligisten der Region, dem FC W-B.
Wir
starteten mäßig in die Rückrunde. Die mit Spielern der Verbandsliga
aufgerüstete Reserve-Mannschaft des FC W-B schloss nach Punkten in der Tabelle
auf und im letzten Drittel der Saison wurde im Showdown das Spitzenspiel gegen
sie eindeutig unterlegen, mit 1:3 verloren. Nach einer kleinen Negativserie
waren wir sogar nur noch Tabellendritter, obwohl der zweite Tabellenplatz
erstmalig zu einer Relegationsteilname für die Bezirksliga gereicht hätte. Nun sah es noch nicht einmal nach „Vizekusen der Kreisliga“
aus. Im Endspurt wurde wurden dann noch Siege eingefahren, der mit Spielern aus
der Verbandsliga aufgerüstete FC W-B II gab sich keine Blöße mehr.
Wieder
Vizemeister, jedoch diesmal mit Relegation als zusätzliche Option. Zunächst
wusste ich nicht, ob ich mich über den wieder verpassten Aufstieg ärgern soll
oder über die Relegation freuen soll. Gruppengegner waren die beiden
Vizemeister der Nachbarkreise und ein am letzten Spieltag auf den drittletzten
Platz gerutschter starker Bezirksligist. Nur der Gruppenerste konnte noch
aufsteigen.
Mein
VfR war Außenseiter in dieser Runde. Aber ok, wir hatten eine kleine Chance.
Unser erstes Spiel bescherte uns gleich das Spiel beim starken Bezirksligisten
die Spvg. KG. Deren starker Mittelstürmer hatte über die Hälfte der Tore
alleine geschossen und Torschützenkönig der Liga.
Der
Tag des ersten Spiels rückte näher und mit jedem Tag wurde meine Anspannung
größer. Nach einem 0:1 Rückstand konnten wir durch ein Eigentor – vor ca. 400
Zuschauern- ausgleichen. Kurz vor Ende
der 1. Halbzeit erzielte unser Kapitän-Spielmacher-Torjäger und Vereinsidol „Knigge“,
die 2:1 Führung. In einer aufopferungsvollen Abwehrschlacht, mit ein paar
gefährlichen Kontern, konnten wir das Ergebnis bis zum Schluss halten. Übrigens…die
Schlagzeile am nächsten Tag in der lokalen Presse lautete: Der Torjäger hatte
gegen Thomas W. (unser Manndecker, der das Spiel seines Lebens machte) keine
Chance!!!
Mit
dem Selbstvertrauen dieser kleinen Sensation ging es in das 2. Spiel – zuhause gegen
den Spielstarken Vizemeister des Nachbarkreises FSV S. Nach anfänglichen
Problemen bekamen wir das Spiel unter Kontrolle. Mit einem 20 Meter-Knaller und einem tollen
Solo, erzielte unser Kapitän „Knigge“, beide Tore zur hochverdienten
Halbzeitführung. Unter Berücksichtigung der anderen Ergebnisse, wären wir zu diesem Zeitpunkt Aufsteiger.
Nach der Halbzeit hätte das 3:0 fallen müssen. Doch statt dessen, wie so häufig
in solchen Situationen im Fußball, der Gegner wurde stärker – drängte –
erzielte den Anschlusstreffer und zehn Minuten vor Ende sogar den 2:2
Ausgleich.
Nun
kam es im letzten Gruppenspiel zum Endspiel, auf neutralem Platz, gegen den Punkt- und Torgleichen SV P. Nur der
Sieger steigt sicher auf. Bei Unentschieden bestand die Gefahr dass der
Tabellendritte FSV S. vorbei zieht. Bei gut besuchten Spielen in der
Meisterschaft kamen 80 bis 100 Zuschauer zu den Spielen. Als ich mit Mannschaft
und Trainer an diesem Tag die Platzanlage betrat, müssen es ca. 500 mit Fahnen
und Trompeten ausgerüstete Zuschauer gewesen sein. Mit dem Anpfiff stieg mein
Puls und Blutdruck ins unermessliche. Die Nächte zuvor hatte ich vor Aufregung
und Spannung kaum schlafen können. Ist
das heute der Tag? Kann der Traum heute wahr werden?
Gelähmt
von der nervlichen Anspannung eines solchen Endspiels lief unser Team in den
ersten 20 Minuten nur hinterher und hatten einige brenzlige Situationen zu
überstehen. Doch unser Torwart "Andre" hatte einen tollen Tag erwischt oder
einige Torchancen vom hochüberlegenen SV P. wurden in letzter Sekunde
abgeblockt. Mit einem Traumstart ging es jedoch dann in die zweite Hälfte.
Gerade mal 40 Sekunden waren gespielt, als unser linker Verteidiger „Nelli“, sich erinnerte, auch hin und wieder ein Tor erzielen
zu können. Eine Quervorlage hämmerte er volley von der Strafraumkante ins lange
Eck. 1 :0 ! Nun hatten wir die Bezirksliga fest im Visier. Die Anspannung bei
der Mannschaft legte sich nun und unser Mittelstürmer „Katti“ hatte aus kurzer
Distanz das 2:0 auf dem Fuß – entschloss sich aber zu spät zum Abschluss. Doch
der SV P. lebte noch. Binnen zwei Minuten war dann der Aufstieg wieder in
weiter Ferne gerückt – durch eigene Schuld wurde ein Ball in der 59. Minute im
eigenen Strafraum vertändelt – dann noch ein eigenen Mitspieler angeschossen
und mit letzten Einsatz rutschte dann ein Spieler des SV P. mit dem Ball über die
Torlinie. Der Linienrichter hob erst die Fahne wegen Abseitsstellung, nahm
seine Entscheidung dann jedoch zurück. Dies wiederum nahm unsere 2. Sturmspitze
„Uwe“ zum Anlass dem Linienrichter zu erklären, was er von ihm halte. Der
Linienrichter winkte eifrig den Schiedsrichter herbei und dieser zog
unverzüglich „rot“.
Das
wars dann, schoss es mir entsetzt durch den Kopf! 30 Minuten in Unterzahl gegen
diesen starken Gegner! Ich war
geschockt! Bezirksliga ade!!
Doch
dann traf Trainer „Heinz“ genau die richtige Entscheidung. Der SV P. drängte,
meine Jungs erhöhten den kämpferischen Einsatz. „Heinz“ wechselte Mittelstürmer „Katti“ – ein
reiner Strafraumstürmer – aus und wechselte dafür den agilen 18-jährigen
Jungspund „Torsten „ ein.
„Torsten“
war der jüngste und der Lehrling im Team – talentiert - laufstark – schnell –
total ehrgeizig und manchmal mit dem Kopf durch die Wand und hatte so
manche gute Torgelegenheit überhastet vergeigt. Unter Missachtung jeglicher
taktischer Vorgaben, hatte er bisher seinem Trainer „Heinz“ bei seinem
Teileinsätzen zu „Weissglut“ gebracht.
Mit dem Ergebnis, dass er dann im nächsten Spiel entweder gar nicht oder nur
ein paar Minuten ran durfte. Wochen zuvor in der Meisterschaft hatte sich
dieses Szenario wieder mal ereignet und „Torsten“ beschwerte sich mal wieder
bei mir, über diesen so ungerechten Trainer „Heinz“. Ich nahm in tröstend
beiseite und sagte damals: „Junge bleib ruhig, trainiere gut weiter, deine Zeit
wird kommen, ich glaube du wirst ein großer Beitrag sein, uns in die Bezirksliga
zu bringen.“
Und
was geschah nun an diesem Endspieltag? Mit seinem ersten Ballkontakt erfüllte er diese Aufgabe in der 72.
Minute hundertprozentig! Kapitän „Knigge“ hatte sich über links durchgespielt,
die scharfe Hereingabe hämmerte der heraneilende „Torsten“ ins Tornetz!! 2:1!
Nach
kurzer Freude schaute ich auf die Uhr. Ein Ruhekissen war dieser Treffer noch
lange nicht. Noch 18 Minuten zu spielen….noch
18 Minuten zum Ziel…..in 18 Minuten könnte ein Traum in Erfüllung gehen…..in 18
Minuten könnten über 10 Jahre Arbeit belohnt werden. Teilweise liefen diese 10
Jahre wie ein Film in Zeitlupe auf meinem geistigen Monitor ab. Die letzten
Minuten stand ich am Spielfeldrand und habe den Rest des Spiels nur noch in
Trance wahrgenommen. Den Krach und die 500 Zuschauer habe ich gar nicht mehr
wahrgenommen. Dass der SV P. nun alles nach vorne schmiss, wütend das Spiel
versuchte zu drehen….unser Torwart oder eine Fußspitze in letzter Sekunde das
Gegentor noch verhinderte. Teilweise habe ich diese Szenen erst in den Tagen
danach in der Presse gelesen ……. Dann
plötzlich ein Pfiff! .... Was war das?.....Träume ich? Es dauerte Sekunden bis ich realisierte, dass
es der Schlusspfiff war…..dass, das Spiel zu Ende war …… dass wir gewonnen
hatten….. Freude kam langsam in mir auf…....Tränen…..dann Jubel. In einer stillen
Ecke, Abseits des Platzes, brauchte ich erst mal eine Minute für mich, bevor
ich mich in die jubelnde Menge der feiernden Spieler und Fans begab.
Mein
Leben hat mir so manches große Ereignis und Glücksgefühl geschenkt. Berufliche Ziele erreichen, verliebt
sein – auf Wolke sieben schweben- heiraten - . Doch neben der Geburt meines
Sohnes, werden ich diesen magischen Moment des Fußballs, diese Minuten, nie
vergessen !........
Übrigens:
Nach gutem Start in die darauf folgende erste Bezirksligasaison standen wir
nach ca. 8 Spieltagen mit Trainer „Heinz“ auf dem 4. Tabellenplatz und sind anschließend als
Tabellenletzter am Ende abgestiegen.
Und
wenn die Spieler von damals – auch die, die Trainer „Heinz“ manchmal zum Teufel
gewünscht haben, diesen heute mal wiedertreffen, heißt es oft: „Mann Heinz, war
das nicht eine geile Zeit? War das nicht eine tolle Saison?.......
Wer von Euch hat ebenfalls solche Momente im Fußball oder Sport erlebt?? Ich wäre gespannt Eure Geschichte zu lesen